Der Tote im Teich
Von der großen Journalistenlaufbahn ist Charlotte noch weit entfernt, als sie ihre Arbeit bei der Hanseatischen Wochenchronik aufnimmt.
„Ich muss duschen und in den Verlag“, rief Charlotte und tat, als würde sie erschrocken auf die Küchenuhr gucken. „Um zehn beginnt die Redaktionsbesprechung.“
Dies war nicht gelogen, nur dass man als Schreiberling-für-alles und dazu als Neuling naturgemäß lediglich passiv an der täglich stattfindenden Redeschlacht teilnahm. Als Neuling galt man in diesen Kreisen übrigens die ersten zehn Berufsjahre. Wenn sie die nächste Ebene in der Hierarchie erreichte, würde sie über vierzig sein und somit über der Altersgrenze, mit der man als Frau ernsthaft auf eine steile Karriere hoffen konnte.“
Der traditionsreiche Zeitungsverlag betreibt seit seiner Gründung einen Paternoster, in dem auch heute noch Mitarbeiter stilvoll in ihr Redaktionsbüro gelangen.
„Charlotte stand mit Bauchkribbeln in dem ruckelnden Public-Viewing-Aufzug. Wer in so einem Ding einmal drinnen steht, muss zwangsläufig wieder raus, denn ewig will niemand im Umlaufaufzug gefangen bleiben.“
Eines Tages erhält sie die Chance über einen medienwirksamen Prozess aus dem Landgericht Hamburg zu berichten.
„Der gesamte Gerichtssaal lauschte den Polizisten, die die Ermittlungen geleitet hatten und nacheinander aufgerufen wurden. Einer von ihnen, ein älterer Mann mit einem gewaltigen Schnurrbart, tat sich schwer mit dem Vortragen seiner Ermittlungsergebnisse. Er vergaß beim Reden nämlich zu atmen und japste nach jedem Satz verzweifelt und auffällig nach Luft. Trotzdem zog er jeden in seinen Bann, denn die Geschichte wurde immer aufregender und Charlottes Notizen immer länger.“
Der Angeklagte wird dank der Aussage seines Freundes freigesprochen. Nur entdeckt Charlotte den Zeugen Tage später tot in einem Hamburger Teich.
„Sie konnte nicht von Thomas’ offenem Mund knapp unter der Wasseroberfläche wegsehen – ein skurriler Anblick, der sie an Fische erinnerte, die am Strand verendet waren. Etwas hatte sich in seinem Haar verfangen. Sie nahm einen Ast auf und fummelte an dem glitschigen Ding herum, das sich als unkenntlicher Rest eines verendeten Wasserbewohners herausstellte.“
Das Element Wasser lässt Charlotte nicht los. Ihr Lokalredakteur verpasst ihr zudem die Aufgabe, über Krebse zu berichten. So manchem Hamburger ist deren muntere Fortpflanzung ein Dorn im Auge.
„Vorsichtshalber schielte Charlotte auf den Boden, nicht dass einer der Krebse, die noch nicht ins Netz gegangen waren, Gefallen an ihren Fußknöcheln finden würde. Sie war, das musste sie so offen zugeben, einfach kein Typ für die freie ungezähmte Natur. Und das versteckte Plätzchen am See, an dem sie gerade das Interview führte, war weit entfernt von den schmucken Wegen, die sie sonst aus Parks gewohnt war.“
Damit nicht genug, laufen ihr radikalisierte Umweltschützer über den Weg, die sich nicht nur am Krebsfang stören, sondern auch an dem Ruderclub, in dem der Tote am Teich Mitglied war.
„Der Mann im dicken Wollpullover sah sie tadelnd an. Charlotte schwor sich, ab sofort alles, und nicht weniger als alles, umweltmäßig besser zu machen. Zumindest was ihren Gummibärchen-Konsum betraf. Von nun an würde sie auf Minitütchen verzichten und stattdessen gleich die 1,2-Kilo-Packung in hässlichen Trögen mit Henkel kaufen.“
Der Kreis der Verdächtigen wird immer undurchschaubarer, denn auch der Freundeskreis des Toten verbirgt so manches Geheimnis. Und alle Spuren führen zum Ruderclub.
„Man sollte wirklich meinen, dass ein kräftiger Ruderer wie Thomas sich mit den Armen hätte abfangen können«, warf Charlotte ein. »Kaputtes Knie hin oder her. Er muss gemerkt haben, wie er auf den Steinen ausrutschte.“
Charlottes erster Mordfall bleibt kein Cold Case. Bei der Entlarvung des Täters ist sie ganz vorne dabei. Natürlich muss der Erfolg gefeiert werden. Und dies tut sie ausgiebig mit ihrer Familie in einem Tanzclub.
„In den drei Wochen hatte sich der Sommer endgültig aus Hamburg verabschiedet, und ein früher Herbst hatte Einzug gehalten. Von den kühleren Temperaturen war in der Wilden Josefine nichts zu spüren, denn es wurde ausgelassen getanzt. Bei den jazzigen Rhythmen hielt es keinen Gast auf dem Stuhl, und Charlotte staunte, wie angesagt Lindy Hop war.“
Kleider machen Liebe
Der Anfang…
„Alles begann am 10. September. An diesem Tag fegte ein früher Herbststurm über Norddeutschland hinweg und vertrieb mit aller Macht den warmen Spätsommer.
„Ich werde todsicher seekrank werden“, sagte Onkel Quirin, der heute keine Gelegenheit ausließ, um über seine stürmische Segeltour letztes Jahr auf der Ostsee zu klagen. Ein schlechtes Omen für die Kreuzfahrt, die ihm bevorstand.
Ich blinzelte zu den bleigrauen Wolkenbergen hoch, die über dem Hamburger Cruise Center brodelten wie vormittags die Autoabgase im Berliner Stadtring.“
„Während Tante Meret kaum ihre Ungeduld zügeln konnte, auf die unruhige Nordsee des Hamburger Hafens hinauszugleiten, hörte ich hinter mir ein herzzerreißendes Jaulen.
„Passen Sie, Herrgott noch mal, auf, wohin Sie treten“, schimpfte Onkel Quirin in gebückter Haltung und rettete Napoleon, Tante Merets Terrier, in die sichere Zuflucht zwischen seinen Beinen.“
Kaum ist Pauline zurück in Berlin, erhält sie den Auftrag die Angestellten eines neuen Hotels einzukleiden – natürlich wird sie zur Eröffnungsfeier des Hotels eingeladen.
„Es reichte mir schon, dass von 83 Millionen Einwohnern in Deutschland ausgerechnet Dominik Behrens in den nächsten Stunden neben mir sitzen würde. Wobei es gar keinen Grund gab, ihm gegenüber unsicher zu sein. Trotzdem schaffte Dominik Behrens es jedes Mal, mich mit einer kleinen Geste oder einer kurzen Bemerkung aus der Fassung zu bringen.
Dieser erkundigte sich unterdessen im schönsten Plauderton nach Jakobs und meiner Verbindung zu Rafael Sternberg und zeigte sich ehrlich interessiert an unserer Arbeit.
Ich verfiel vorsichtshalber erst einmal in reservierte Zurückhaltung, sprach bloß das Nötigste und blökte höchstens ein „Ach ja“ oder „Genau“ heraus.
Jakob hingegen verstand sich auf Anhieb hervorragend mit Dominik Behrens. Und ich wünschte, es wäre nicht so. Denn wenn Jakob sich wohlfühlte, noch dazu mit zwei Gläsern französischem Champagner intus, wurde er mitteilsam bis zur Indiskretion. Wehe Jakob, wenn er nur ein klitzekleines Wort von meiner Schwärmerei für Rafael Sternberg ausplauderte.“
Sogleich folgt die nächste Herausforderung. Bis Pauline sich versieht, geht sie auf Geschäftsreise – nach Südfrankreich.
„Gerade als ich dachte, wie herrlich entspannt doch so ein Vormittag am Pool sein konnte, fiel ein Schatten auf mein Gesicht. Der Schatten schob sich immer mehr vor die Sonne. Ich blinzelte und sah ein Paar braun gebrannte Männerbeine vor mir stehen. Sie gehörten vermutlich einem Schwimmer, der sich lieber vom Beckenrand hochgehievt hatte, weil er zu faul war, zur Leiter am anderen Ende des Beckens zu schwimmen. Mein Blick glitt höher, und ich bemerkte, wie dunkle Sonnengläser direkt auf mich gerichtet waren.
„Unsere Berliner Top-Designerin ist da.“
Mit dem kühlen Nass konnte Pauline sich noch nie anfreunden, aber wenn die Kulisse so (!) aussieht, geht selbst eine Nichtschwimmerin mit auf einen Bootsausflug. Zumal in Begleitung von gleich zwei aufregenden Herren.
Nur sollte sich Pauline nicht zu früh freuen, denn sie geht über Bord.
(„Port Grimaud, Provence“)
„Für eine Sekunde gelang es mir, an die Oberfläche zu kommen. Ich schnappte nach Luft und hörte mich selbst kreischen. Dabei verschluckte ich gleich mal eine gehörige Portion ekliges Meerwasser. Ob ich jemals das schöne Berlin wiedersehen würde? Da sparten manche Menschen das ganze Jahr, um aus der Stadt rauszukommen und vierzehn Tage im Meer zu baden.“
Ihr unfreiwilliges Bad im Meer wird durch ein romantisches Abendessen in Port Grimaud wettgemacht – auch wenn Paulines Gedächtnis am nächsten Morgen Lücken hat.
„Von den paar Minuten Aufstehen bereits wieder total erschöpft sank ich am Fenstertisch nieder und bereute es umgehend. Gleißend graues Morgenlicht drang herein und schoss wie eine Flamme in meine Augen. Mein Kopf schrumpfte zu Erbsengröße zusammen. Ohne aufzustehen, zog ich die Übergardine zu. So war es besser.“
Bis Pauline jedoch ihr Glück findet, muss sie zunächst so manche weitere Hürde überwinden, aber am Ende führt sie der Liebesreigen in ein bretonisches Steinhaus.
„Den ganzen nächsten Tag goss es wie aus Eimern. Donnernd prasselte der Regen aufs Dach. Er tanzte und toste in den bleiernen Dachrinnen des alten Steinhauses und schoss in kleinen Wildbächen in die Abflüsse.
Ich stand am Fenster und sah in die undurchdringliche Landschaft hinaus. Draußen brach der düstere Nachmittag in sich zusammen, mit kaltem Wind und Dämmerlicht. Die nächsten Häuser lagen gut versteckt hinter Bäumen. Ich fühlte mich auf einmal schrecklich einsam.
Unvermittelt durchschnitt ein heller Lichtstrahl die graue Regenwand. Ein Auto näherte sich dem Haus, fuhr im Bogen um die Blumenbeete herum und hielt auf dem Kiesweg.
Ich lief zur Haustür, riss sie weit auf und versuchte zu erkennen, wer der unangekündigte Besucher war. Der Regen lief an dem Auto hinunter, so dass ich nur eine verschwommene Silhouette hinter der Scheibe erkannte.“
Natürlich wird an dieser Stelle nicht verraten, wer der geheimnisvolle Ankömmling ist. Die Auflösung ist in meinem Debütroman „Kleider machen Liebe“ nachzulesen.
Filmreif verliebt
Aller Anfang ist schwer – das gilt auch für Isabelles Filmkarriere, die nicht recht in Fahrt kommen will. Zwar ergattert sie eine Rolle, aber ihr Drehtag im Kriminalgericht Moabit erweist sich als wenig rühmlich…
„Nicht weit entfernt von uns flitzte das Filmteam wie eine aufgescheuchte Ameisenhorde herum. Außenaufnahmen, zumal mitten in Berlin, waren immer eine Herausforderung. Spielte das Wetter mit? Hielt die Maske der Hauptdarsteller? Zickte jemand herum, weil es zu kalt, zu warm oder zu windig war? Dazu kam das knappe Zeitfenster. Das Berliner Immobilienmanagement BIM verlangte strikte Einhaltung der vereinbarten Termine und verdiente ausgesprochen gut an seinen Motivvermietungen, hatte mir ein Regieassistent verraten.
Das war aber keine Entschuldigung dafür, dass mir Karsten im durchdringenden Befehlston zubrüllte: »Gleich kommst du ins Bild, Isabelle. Geh zur Gerichtsecke und stell dich dort auf deine Position!“
Zumindest tut sich in Isabelles Privatleben Angenehmes auf - während einer Gartenparty trifft sie ihren Jugendschwarm…
„Du musst dich schnell entscheiden, Isabelle.« Alexander hob den Kopf und sah Werner hinterher. »Der Steak-Liebhaber hat sich von deinem Bruder gerade zwei Teller aufladen lassen. Wenn du allerdings lieber etwas Gesundes Essen möchtest, kannst du dich mit mir auf die Bank da hinten im Halbdunkel verdrücken.«
Alexander beugte sich tief zu mir herunter, dennoch kam er nicht ansatzweise auf Augenhöhe mit mir.
»Na, was ist? Der Countdown läuft. Ich schätze, du hast noch etwa zwanzig Sekunden, bevor die Steaks anrücken.«
»Nichts wie weg«, rief ich erschrocken aus.
Wir setzten uns auf die Gartenbank, gut geschützt mitten unter Susannas sorgsam gepflegten Sträuchern. Die Gartenbeleuchtung erreichte kaum unser kleines Versteck.“
Nur leider brauen sich am Horizont dunkle Wolken am Liebeshimmel auf…
„Ich hörte die Frage wie durch einen dicken Nebel. Schuld daran war der Anblick, der sich mir durch die Fahrerscheibe keine zwanzig Meter entfernt bot. Er zerschlug im Bruchteil einer Sekunde meine ganzen Hoffnungen. Alexander stand vor seinem Haus, und er war nicht allein. Er hielt eine Frau im Arm und streichelte liebevoll über ihr schulterlanges blondes Haar. Ihr Gesicht lag in der intimen Mulde zwischen Alexanders Schulter und Hals, an genau der wunderbaren Stelle, in der mein Kopf bei unserem gemeinsamen Einschlafen geruht hatte.“
Da wäre ein Rückzugsort gefragt – aber Isabelles Zuhause wird von Handwerkern belagert. Dabei sollte die alte Villa doch im neuen Glanz erstrahlen…
„Oder ich stolperte über ihre Geräte, die unvorhersehbar herumlagen. Eimer, Pinsel, Spachtel und Leitern konnten vor allem Zehen verdammt wehtun.
Das alles machte nervös und ließ nicht viel Raum für andere Gefühle. Außer den Wunsch, sich in Sicherheit zu bringen.“
In so einer verzwickten Lage ist es das Beste, die Flucht zu ergreifen. Und das macht Isabelle. Mit einer neuen Filmrolle im Gepäck reist sie zu einem atemberaubenden Schloss in Italien, um Liebesschmerz und Renovierungschaos hinter sich zu lassen…
„Schloss Albertoni thronte auf einem Felsvorsprung, der tief ins Meer hineinragte. Ein weißes Juwel aus Habsburger Zeit mit Zinnen und Türmen, die sich dem tiefblauen Himmel entgegenstreckten. Wie um die Menschen daran zu erinnern, dass die Natur nicht zu zähmen war, fielen unterhalb der Schlossmauern Klippen senkrecht ins Meer hinab. Am Fuß schlug die Brandung bedrohlich gegen das Fundament des Bauwerks. Ich stellte mir vor, wie ein erzürnter Meeresgott aus der Gischt hervorstieg, um Albertoni in seinen Schlund zu ziehen.“
Die Filmaufnahmen in Italien verlangen Isabelle einiges ab, zumal ein bestimmter Herr unerwartet auftaucht und ihre Fahrkünste für einen Dreh auf Vordermann bringt, bevor es im 20er Jahre Look heißt „Action“ …
„Ich sehnte Alexander mit seinem beruhigenden Wesen herbei. Er hatte mich nicht angeschrien. Neben ihm war mir die Straße nicht so gefährlich vorgekommen, und neben ihm war mir keine Angst den Rücken hochgekrochen.
Hinter der besonders scharfen Kurve, auf die mich schon Alexander aufmerksam gemacht hatte, tat sich uns das Meer auf, schimmernd glatt und seidig wie frischgebügelt, als wollte es uns zum bevorstehenden Picknick rufen.
»Nur die Ruhe«, versuchte ich Lukas und zugleich mich selbst zu beruhigen. Ich bremste die rasante Talfahrt des Daimlers sanft ab und blickte gehorsam weiter auf die Straße. Ich würde mir doch wegen eines panischen Lukas nicht meinen Auftritt vermasseln lassen.“
So viel körperlicher Einsatz muss ja zum Filmerfolg führen. Ob dies auch für Isabelles Liebesleben gilt, offenbaren die letzten Kapitel meines Romans.